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Jetzt anmeldenDigitale Zwillinge sind eine effiziente Möglichkeit, Produktionsprozesse zu simulieren und zu verbessern. Sie sind das virtuelle Abbild einer realen Produktion, der dazugehörigen Prozessschritte und der beteiligten physikalischen Objekte. Sie bilden Zusammenhänge in Fertigungsprozessen ab und können Fertigungsergebnisse prognostizieren. Das Zukunftslabor Produktion nutzt digitale Zwillinge im Anwendungsbeispiel der Druckgussindustrie. Der Druckguss liefert zahlreiche Bauteile z. B. für die Automobilproduktion, Luftfahrtindustrie und Medizintechnik und ist deshalb ein sehr wichtiger Industriezweig in Niedersachsen.
Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors analysieren mithilfe des digitalen Zwillings, ob das Gießwerkzeug korrekt hergestellt wird. Bei diesem Werkzeug handelt es sich um eine Form aus einem Warmarbeitsstahl, in die das Aluminium gegossen wird. Häufig kommt es während des Fräsprozesses zu prozessbedingten Formabweichungen, also Abweichungen von der Soll-Kontur. Da die Herstellung des Werkzeuges sehr teuer und aufwendig ist, müssen solche Fehler im Herstellungsprozess bereits in der Prozessplanung prognostiziert und kompensiert werden.
Mithilfe von Machine Learning (ML) erstellen die Wissenschaftler*innen ein Prognosemodell, das die Qualität des Produktes – also des Gießwerkzeuges – anhand der Prozessparameter (z. B. Schnitttiefe der Fräsmaschine) vorhersagt. Über diesen Weg kann die optimale Einstellung der Parameter virtuell definiert werden, sodass im realen Herstellungsprozess ein möglichst fehlerfreies Produkt erzeugt wird.
In diesem Zusammenhang untersuchen die Wissenschaftler*innen zwei Themenbereiche. Erstens: Wie können die Daten für ein zuverlässiges Prognosemodell ausgewählt werden? Zweitens: Wie wirkt sich der Verschleiß von Werkzeugen auf die Formabweichungen aus?
Datenauswahl durch Active Learning
Um das Prognosemodell zu trainieren, nutzten die Wissenschaftler*innen Daten aus vergangenen Produktionsprozessen. Dazu gehören einerseits die Schnittbedingungen (z. B. die Schnitttiefe und -breite des Fräsers im Bauteil), die im Rahmen der Prozessplanung eingestellt werden. Zudem umfassen die Trainingsdaten die Formabweichungen bereits hergestellter Bauteile, die durch die Qualitätssicherung ermittelt wurden. Auf Basis dieser beiden Datenquellen (Schnittbedingungen und Formabweichungen) kann das ML-Modell die Formabweichungen unter Angabe einer Konfidenz vorhersagen. Die Konfidenz sagt etwas darüber aus, wie sicher ein Modell in seinen Vorhersagen ist. Wenn das Modell zu unsicher ist, dann holt es autonom weitere Informationen aus dem Prozess ein. Diese Form des Machine Learning wird als Active Learning bezeichnet.
In unserer Vision erkennt das Prognosemodell eine unzureichende Prognosegüte und greift auf die Fräsmaschine zu, um weitere Daten abzufragen. Die Maschine misst die benötigten Werte und führt sie dem Prognosemodell zu. Somit kann das Prognosemodell autonom lernen, ohne dass ein Mensch die Daten auswählen muss.
Neben den Daten vergangener Herstellungsprozesse nutzten die Wissenschaftler*innen auch Daten aus der eigenen Produktion. Dafür frästen sie eigene Bauteile und erfassten entstandene Formfehler. Im Anschluss trainierten sie das Prognosemodell mit den neu gewonnenen Daten und ließen wiederum eine Vorhersage der Formfehler erstellen. Um zu prüfen, ob das Modell die Zusammenhänge zwischen Eingangsbedingungen und Formabweichungen erkennt, verglichen die Wissenschaftler*innen die Vorhersage des Modells mit dem tatsächlichen Bauteil. Insgesamt führten sie den Vergleich zehn Mal durch, sowohl für geringe als auch für hohe Formabweichungen. Der Vergleich zeigte, dass das Active-Learning-Prognosemodell die tatsächlichen Formfehler gut vorhersagte.
Prognosemodell berücksichtigt Werkzeugverschleiß
Während des Herstellungsprozesses verschleißt das Fräswerkzeug mit der Zeit. Daher untersuchten die Wissenschaftler*innen, wie sich der Werkzeugverschleiß auf die Qualität des Bauteils auswirkt. Hierfür prüften sie, mit welchen Prozessmerkmalen die Formfehler, die aus dem Verschleiß entstehen, vorhergesagt werden können. Um die Merkmale zu erfassen, nutzten die Wissenschaftler*innen Daten aus verschiedenen Quellen: zum einen sogenannte Soft-Sensoren, die den Prozess virtuell simulieren, zum anderen zwei Arten von Sensoren, die im Herstellungsprozess selbst integriert sind. Diese messen die Prozesskräfte und den Strom aus dem Antrieb der Maschine. Die Wissenschaftler*innen führten die Daten aus diesen drei Quellen (Simulationsdaten, Prozesskräfte, Antriebsströme) dem Prognosemodell hinzu, sodass es Vorhersagen zur Auswirkung des Werkzeugverschleißes auf die Formabweichungen des Bauteils treffen konnte. Die Wissenschaftler*innen fanden heraus, dass die prozessnahen Messungen der Prozesskräfte und Spindelströme zu genaueren Abbildungen der verschleißbedingten Formfehler führen können. Mit der zusätzlichen Berücksichtigung der Spindelströme kann die Prognosegüte gegenüber der Modellierung durch Simulationsdaten stark erhöht werden, ohne dass zusätzliche kostenintensive Sensoren (wie z. B. Kraftmessplattformen) in die Maschine integriert werden müssen. Die Daten der Kraftmessplattform konnten die Prognosegüte in den Untersuchungen jedoch geringfügig weiter verbessern.
Ausblick
Die Wissenschaftler*innen werden im Forschungsjahr 2024 das Active Learning und die sensordatenbasierte Auswertung kombinieren. Sie werden prüfen, ob das Zusammenwirken der Teillösungen die Prognosegüte der verschleißbedingten Formfehler verbessert.