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Jetzt anmeldenErneuerbare Energien spielen eine immer größere Rolle in der Stromversorgung. Laut Statistischem Bundesamt stammten im Jahr 2024 bereits 59,4 Prozent des in Deutschland erzeugten und ins Netz eingespeisten Stroms aus erneuerbaren Quellen – ein neuer Höchstwert. Diese Entwicklung stellt das Energiesystem vor neue Herausforderungen: Da Wind- und Solarenergie wetterabhängig sind, schwankt die Einspeisung ins Netz und erfordert eine flexible Steuerung. Für eine stabile Netzfrequenz von 50 Hertz müssen die Energieerzeugung und der Energieverbrauch ausgeglichen sein. Um die Netzstabilität trotz dieser Schwankungen zu gewährleisten, müssen Energiesysteme zunehmend digital gesteuert werden.
Um verschiedene Aspekte digitalisierter Energiesysteme zu untersuchen, forschen die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Energie an fünf Szenarien: Elektromobilität, Netzbetrieb, Flexibilitäten, Störungen von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und Gebäude. Im Forschungsjahr 2023 hatten die Wissenschaftler*innen bereits damit begonnen, im Szenario „Netzbetrieb“ stabile und sichere Betriebsmodelle für digitalisierte Energiesysteme zu untersuchen. Dafür hatten sie zwei Forschungslabore gekoppelt:
Das Labor Regenerative Energien der Hochschule Emden Leer umfasst ein Netzmodell zur Nachbildung elektrischer Verteilnetze, eine Wetterstation zur Messung von Wind- und Solarstrahlung sowie verschiedene Energieerzeuger – darunter eine Photovoltaikanlage, eine Windkraftanlage, ein Blockheizkraftwerk und einen Batteriespeicher. Das DLR_NESTEC – Networked Energy Systems Emulation Centre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) bietet eine Emulationsumgebung, in der reale Hardware (wie Ladesäulen, Batteriespeicher oder Photovoltaik-Wechselrichter) unter realistischen und trotzdem sicheren Bedingungen getestet werden kann.
Durch die Kopplung dieser beiden Labore konnten die Wissenschaftler*innen reale Anlagen und digitale Steuerungssysteme gemeinsam betrachten, um die Komplexität moderner Energiesysteme praxisnah zu untersuchen und zu optimieren. Zudem ermöglichte die standortübergreifende Zusammenarbeit die Nutzung gebündelter wissenschaftlicher Expertise und technischer Infrastruktur.
Im Forschungsjahr 2024 erweiterten die Wissenschaftler*innen diese Kopplung um ein drittes Labor: das Labor für Heizungstechnik der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften. Dieses Labor verfügt über wichtige Elemente der Heizungstechnik, wie Wärmepumpen, Gaskessel, Wärmespeicher und Anlagen zur Solarthermie. Die Wissenschaftler*innen integrierten eine Wärmepumpe aus dem Labor in die bestehende Netzsimulation der Hochschule Emden Leer und des DLR. Durch diese erweiterte Laborkopplung lassen sich nun zentrale Forschungsfragen zum Flexibilitätspotenzial des Wärmesektors für die Stromnetze verfolgen. Eine der entscheidenden Fragestellungen ist, wie die Netze auf eine hohe Gleichzeitigkeit der Lasten durch Wärmepumpen reagieren, insbesondere im Winter, wenn diese Geräte durchgehend in Betrieb sind.
Um die Funktionsweise der drei gekoppelten Labore zu testen, stellten die Wissenschaftler*innen ein Szenario nach, das dem Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) entspricht. Das EnWG regelt die Erzeugung, die Einspeisung und die Vergütung von Strom und Gas. Ziel ist eine sichere, zuverlässige und effiziente Energieversorgung. Paragraf 14a regelt die Stabilisierung des Stromnetzes im Fall einer Netzüberlastung: Netzbetreiber dürfen die Leistung sogenannter steuerbarer Verbrauchseinrichtungen wie Wärmepumpen oder Elektrofahrzeuge reduzieren, um das Stromnetz zu entlasten. Dafür ist es erforderlich, dass die Komponenten über eine digitale Schnittstelle verfügen. Die ist bei modernen Komponenten in der Regel der Fall, viele ältere Komponenten müssen nachgerüstet werden. So auch die Wärmepumpe der Ostfalia Hochschule, die die Wissenschaftler*innen mit einer mobilen Kleinsteuerung zu einem smarten Gerät aufwerteten. Die Kleinsteuerung diente als Schnittstelle zwischen digitaler Simulation und analogen Steuersignalen. Zukünftig können somit Systeme, die über keine passende Kommunikationsschnittstelle, aber eventuell über eine Steuerung verfügen, in Untersuchungen berücksichtigt werden.
Mit unserem Testszenario wollten wir prüfen, ob externe steuerbare Verbrauchseinrichtungen – also Energieverbraucher mit digitalen Schnittstellen – gezielt über die Labore angesteuert werden können. Um ein digitalisiertes Energienetz stabil zu halten, können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden. Wenn die Spannung im Energienetz zu niedrig ist, dann können z. B. Verbraucher wie Wärmepumpen gezielt abgeschaltet oder überschüssige Energie – sogenannte Flexibilitäten – aus Batteriespeichern genutzt werden, um Defizite auszugleichen.
Die Wissenschaftler*innen verteilten die verschiedenen Komponenten (Batteriespeicher, Elektrofahrzeug, Photovoltaikanlage, Wärmepumpe) auf die drei Labore, um eine dezentralisierte und modulare Struktur nachzubilden. Sie wählten die Aufteilung der zu steuernden Komponenten im Niederspannungsnetz so aus, dass negative Effekte in einem Netzabschnitt (also in einem der drei Labore) auch zu Reaktionen in den weiteren Laboren führen, aber nicht im eigenen Labor ausgeglichen werden konnten. Als einfachen Indikator für die Netzstabilität wählten die Wissenschaftler*innen den Schwellwert bei 214 V (dies entspricht 7 Prozent unter Nennspannung, gemäß Norm EN50160 sind bis zu 10 Prozent erlaubt). Wurde dieser Schwellwert unterschritten, wurde die Stabilität des Stromnetzes als gefährdet angenommen und der Netzregler sollte auf die steuerbaren Verbrauchseinrichtungen einwirken, um die Spannung zu stabilisieren.
Die Experimente zeigen, dass die Ansteuerung geografisch verteilter Energiekomponenten mithilfe digitaler Technologien möglich und vorteilhaft ist. Der Netzregler reagierte auf die Spannungsänderung, indem er Steuerbefehle an die Wärmepumpe und die Ladestation des Elektrofahrzeugs sendete. Diese Anpassungen führten dazu, dass die Wärmepumpe ihren Energieverbrauch reduzierte und die Ladestation des Elektrofahrzeugs ihren Verbrauch einstellte bzw. verringerte. Darüber hinaus erhöhte der Batteriespeicher seine Einspeiseleistung in das Netz, um es zusätzlich zu stabilisieren und den Spannungsabfall auszugleichen. Daneben konnten durch standardisierte Schnittstellen bzw. universell einsetzbare Kleinsteuerungen sowohl neue als auch ältere Komponenten (ohne Kommunikationseigenschaften) in die Tests integriert werden.
Flexibilität in elektrischen und thermischen Speichersystemen
Auch das Szenario „Flexibilitäten“ führten die Wissenschaftler*innen 2024 fort. Flexibilitäten können kritische Ungleichgewichte zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch ausgleichen. Zum Beispiel kann überschüssige Solarenergie für das Laden von Elektrofahrzeugen genutzt werden. Auch Gebäude können Energie zum Ausgleich des Energienetzes bereitstellen, z. B. über Stromspeicher und thermische Pufferspeicher.
Für ihre Analysen hatten die Wissenschaftler*innen in den vergangenen Jahren Modelle für verschiedene Energiekomponenten (z. B. Photovoltaikanlagen, Energienetze, Gebäude) entwickelt und das Zusammenspiel dieser Komponenten mithilfe des Simulationstools „mosaik“ simuliert. Simulationen helfen dabei, Zusammenhänge und Abhängigkeiten der verschiedenen Energiekomponenten zu ermitteln. 2024 untersuchten die Wissenschaftler*innen das Potenzial dezentral optimierter Flexibilitäten auf Basis betrieblicher Fahrpläne. Das bedeutet, dass sie die Flexibilitäten der einzelnen Gebäude separat analysierten (dezentral) und dabei prüften, zu welchen Zeiten die Energienutzung sinnvoll und effizient ist (betrieblicher Fahrplan). Dafür koppelten sie das Simulationstool „mosaik“ mit der Simulationsplattform „COHDA“, die zur Berechnung dezentraler Flexibilitäten dient.
Für die Kommunikation der verschiedenen Energiekomponenten untereinander implementierten die Wissenschaftler*innen ein Multi-Agenten-System: Jede Komponente (z. B. Photovoltaikanlage, Batteriespeicher) hat einen Software-Agenten, der mit den Agenten anderer Komponenten kommuniziert. Darüber hinaus integrierten die Wissenschaftler*innen ein zentrales Energiemanagementsystem (EMS) in die Simulation. EMS koordinieren die Erzeugung, Speicherung und den Verbrauch dezentraler Energiekomponenten. Sie dienen dazu, auch übergeordnete Aspekte wie Spannungsniveaus und Transformatorlasten im Blick zu behalten, um das Energienetz insgesamt stabil zu halten.
Die Ergebnisse zeigen, dass eine Optimierung der betrieblichen Flexibilität auf Basis von Fahrplänen dazu beiträgt, den durchschnittlichen Ladezustand der Speichersysteme zu senken, was auf eine mögliche Reduzierung der erforderlichen Speicherkapazität hinweisen könnte. Zudem wurde der parallele Stromverbrauch für die Pufferspeicher verringert, wodurch eine Überlastung des Stromnetzes vermieden werden kann.
Schließlich führte die Optimierung der betrieblichen Flexibilität in Verbindung mit dem zentralen Energiemanagementsystem dazu, dass die Anzahl kritischer Vorfälle im Energienetz verringert wurde. Das Niederspannungsnetz beträgt 230 V und darf maximal um 5 Prozent unter- bzw. überschritten werden, ohne dass die Netzstabilität gefährdet wird. In kritischen Situationen, z. B. wenn zu viele Elektrofahrzeuge gleichzeitig geladen werden, könnte der Toleranzbereich unterschritten werden, sodass das Netz instabil wird. Diesem Fall kann mithilfe der Flexibilitäten und des Energiemanagementsystems vorgebeugt werden.
Dezentrale Energietechnologien in einem Wohnquartier
Das Gebäudemodell aus dem Szenario „Flexibilitäten“ nutzten die Wissenschaftler*innen auch für Analysen zur Energieversorgung eines Wohnquartiers (Szenario „Gebäude“). Konkret ging es um das Quartier Am Ölper Berge in Braunschweig, das 49 Wohngebäude mit mehreren Wohneinheiten umfasst und derzeit über das lokale Energieversorgungsunternehmen mit Strom und Wärme versorgt wird.
Die Wissenschaftler*innen analysierten, welche Auswirkungen eine steigende Integration dezentraler Energieerzeuger auf den gesamten Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen des Quartiers hat. Zu diesem Zweck untersuchten sie den Einsatz verschiedener Energietechnologien, die über die Jahre 2020, 2030, 2040 und 2050 zunehmen. Dazu gehören Wärmepumpen, Heizungsspeicher, Elektromobilität und deren Ladestationen sowie Verbesserungen in der Gebäudeisolierung und die Nutzung von Niedertemperatur-Fernwärmenetzen. Außerdem integrierten die Wissenschaftler*innen Datenmodelle für die Wetterdaten der jeweiligen Jahre.
Für den thermischen Energiebedarf der Quartiersgebäude nutzten sie ein Widerstand-Kondensator-Modell, das den Energiebedarf zu jedem Zeitpunkt modellieren kann. Für dieses Modell sind Daten wie Wandfläche, Wanddicke, Fensterfläche, Wärmedurchgangskoeffizient und weitere Parameter erforderlich.
Die Simulationen zeigen, dass eine bessere Isolierung und der damit verbundene geringere thermische Energiebedarf, die Nutzung effizienterer Wärmepumpen mit einem Niedertemperatur-Fernwärmenetz sowie die steigende Integration von Photovoltaik-Anlagen auf Dächern und Balkonen die Treibhausgasemissionen im Quartier um bis zu 75 Prozent reduzieren können. Insgesamt sinkt der gesamte Energiebedarf des Quartiers durch diese Maßnahmen. Um das Energienetz konstant stabil zu halten, ist jedoch die Implementierung eines intelligenten Energiemanagementsystems notwendig.
Technologiestörungen und ihre Folgen für das Energiesystem
Im Szenario „IKT-Störungen“ simulierten die Wissenschaftler*innen Informations- und Kommunikationstechnologien (z. B. die oben genannten digitalen Agenten der Energiekomponenten) und prüften, wie sich Störungen im Kommunikationssystem auf das Energiesystem auswirken.
Die Kommunikation im digitalen Energiesystem verläuft grob in drei Schritten: Meldung eines Ereignisses, Verarbeitung der Informationen und Ermittlung der Ursache, Durchführung von Optimierungsmaßnahmen. Ein Beispiel: Ein Steuerungsmechanismus stellt Veränderungen im Spannungsniveau fest und meldet dieses Ereignis dem zentralen Energiemanagementsystem. Dieses stellt erhöhte Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen fest und veranlasst, das Laden zu reduzieren.
Um die Auswirkungen von IKT-Störungen zu untersuchen, koppelten die Wissenschaftler*innen ein Modell der Netzkommunikation mit einem Modell des Energieversorgungsnetzes des Beispielquartiers und simulierten Verzögerungen in der Kommunikation sowie in der Berechnung der Optimierungsmaßnahmen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Verzögerungen kaskadenartig auf den Informationsfluss des gesamten Energiesystems auswirken. Das Stromnetz ist in extremen Fällen bis zu sechs Sekunden instabil, bevor es durch das Energiemanagementsystem stabilisiert werden kann. Hier müssen effektive Mechanismen entwickelt werden, um diese starke Latenz zu verringern.