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Jetzt anmeldenDie Anforderungen an die Erzeugung tierischer Produkte beinhalten neben der Einhaltung von Tierschutzvorgaben zunehmend auch die Sicherstellung einer tierwohl-orientierten Haltungsumwelt. Auf einzelbetrieblicher Ebene ist die Anwendung von Tierschutzindikatoren seit 2014 verpflichtend, um die Erfüllung von §2 Tierschutzgesetz valide erfassen und bewerten zu können. Zu einer kontinuierlichen Verbesserung des Tierwohls werden neben gesetzlichen Vorgaben auch Kriterien seitens des Lebensmitteleinzelhandels formuliert. Um die Einhaltung und den Effekt einzelner Vorgaben messbar zu machen, hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Rahmen des Bundesprogramms Nutztierhaltung über fünf Jahre ein Projekt zum Nationalen Tierwohl- Monitoring gefördert. Unter Verwendung etablierter Indikatoren sollen u. a. überbetriebliche objektive und valide Aussagen zum Status quo des Tierwohls in der nationalen Nutztierhaltung möglich sein.
Um die Nutztierhaltung in allen Betrieben unabhängig von Größe, Erzeugungsrichtung und Spezies tiergerecht umzusetzen sowie objektiv erfassbar und bewertbar zu machen, braucht es eine stärkere Unterstützung durch digitale Technologien. Diese können u. a. dazu beitragen, den Bedürfnissen der Tiere gerecht zu werden, aber auch die Arbeit auf den Betrieben fokussierter und im Sinne eines risiko-orientierten Bestandsmanagements umzusetzen. Daher erforschen die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors u. a. das Potenzial und die Einsatzmöglichkeiten der Digitalisierung für mehr Tierwohl.
Digitale Technologien im Nutzgeflügelstall
Das übergeordnete Ziel der Wissenschaftler*innen ist es, mithilfe digitaler Technologien Frühwarnsysteme für Landwirt*innen zu etablieren. Werden Landwirt*innen sehr früh über ein verändertes Verhalten der Tiere oder auffällige Werte im Stall informiert, können sie rechtzeitig einschreiten und Gegenmaßnahmen ergreifen. Das dient sowohl dem Schutz der Tiere als auch einem erfolgreichen Mastbetrieb. Die Wissenschaftler*innen untersuchen den Einsatz digitaler Technologien am Beispiel eines Forschungsstalls, in dem Nutzgeflügel (Hühner) gehalten wird. Der Stall ist voll funktionsfähig und die Bedingungen entsprechen denen eines realen Masthühnerstalls – er ist lediglich kleiner. Die Wissenschaftler*innen verfolgen hier das Ziel, möglichst reale Daten zu produzieren, um praxistaugliche Erkenntnisse zu gewinnen.
Innerhalb eines Stalls wirken sich zahlreiche Faktoren auf das Wohl der Tiere aus. Dazu gehören u. a. das Stallklima (Temperatur, relative Luftfeuchte, Schadgase etc.), die Bereitstellung von Futter und Wasser sowie die Beleuchtung. Die Wissenschaftler*innen installierten digitale Technologien im Forschungsstall, um die genannten Aspekte zu erfassen und zu steuern.
Zur Messung des Stallklimas installierten die Wissenschaftler*innen kabelgebundene und kabellose Sensoren für Temperatur, relative Luftfeuchte, Schadgase (Ammoniak, Kohlenstoffdioxid) und Licht. Die Installation der Sensoren dient sowohl dem Test auf Praktikabilität der unterschiedlichen Anwendungen als auch der Prüfung der Datenübertragung. Wenn die erfassten Werte über- oder unterschritten werden, erhalten die Landwirt*innen eine Warnung, sodass sie nachsteuern können, um ein an den Bedarf der Tiere angepasstes Stallklima einzustellen. Zudem dienen die Daten als Grundlage für ein Modell, das mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) Mastdurchgänge abbildet und Vorhersagen für weitere Durchgänge trifft (je nach Genetik, Alter, Temperatur, Gewicht etc.). Ein Mastdurchgang umfasst die Zeit von der Einstallung bis zur Schlachtung der Herde.
Darüber hinaus statteten die Wissenschaftler*innen den Stall mit Kameras aus, die das Verhalten der Tiere erfassen. Hierüber kann z. B. frühzeitig erkannt werden, wenn die Tiere bestimmte Bereiche des Stalls meiden – der Grund können u. a. feuchte Bereiche oder Zugluft sein. Des Weiteren integrierten die Wissenschaftler*innen Rückmeldesysteme zum Futter- und Wasseraufwand. Die Systeme geben Aufschluss darüber, ob der Futter- und Wasserverbrauch mit den Erwartungswerten übereinstimmt – wenn nicht, können die Landwirt*innen die Ursache dafür zeitnah ergründen und beheben, z. B. eine defekte Wasserleitung.
Außerdem installierten die Wissenschaftler*innen spezielle Beleuchtungssysteme im Forschungsstall. Hühner nehmen die Umwelt anders wahr als Menschen. Sie können den UVA-Bereich des Lichtes wahrnehmen, weshalb keine normalen Glühbirnen und Leuchtstofflampen eingesetzt werden sollten, sondern digitale Lichtsysteme, die ein breiteres Lichtspektrum emittieren als herkömmliche LED.
Die durch all diese Technologien (Sensoren, Kameras etc.) erfassten Daten werden lokal bei den Landwirt*innen gespeichert. Sie können auch über eine Cloud mit anderen Stakeholdern, wie z. B. dem Tierarzt oder Berater, geteilt werden. Außerdem können die Landwirt*innen die Daten automatisiert auswerten lassen und dadurch schnell und unkompliziert Auskunft darüber bekommen, ob Handlungsbedarf besteht.
Die vier genannten Technologien (Sensoren zur Messung des Stallklimas, Kameras zur Erfassung des Tierverhaltens, Rückmeldesysteme zum Futter- und Wasseraufwand, spezielle Beleuchtungssysteme) testeten die Wissenschaftler*innen auf ihre Praxistauglichkeit. Das heißt, sie installierten die Technologien, prüften ihre Funktionsweise und glichen die Ergebnisse mit den Ansprüchen aus der Praxis ab. Auf diese Weise konnten sie Schwachstellen und Probleme identifizieren sowie Optimierungsansätze ausarbeiten. Folgende Aspekte entsprechen noch nicht den Ansprüchen der Praxis: die Konnektivität der Systeme, die Stabilität der Technik, die Steuerung unterschiedlicher Heizsysteme sowie die Risiken bei der Nutzung digitaler Lichtsysteme.
Zur Konnektivität der Systeme: Die eingesetzten Technologien stammen von unterschiedlichen Herstellern, die jeweils eigene Infrastrukturen besitzen. Daher ist es nur unter erheblichem Aufwand möglich, die unterschiedlichen Technologien in einem System (Farm Management System) zu verbinden.
Zur Stabilität der Technik: Einige der getesteten Geräte funktionierten nicht stabil, d. h. die Verbindung zum Server brach teilweise ab, sodass die Daten nicht übertragen werden konnten.
Zur Steuerung unterschiedlicher Heizsysteme: Die Wissenschaftler*innen stellten fest, dass die Verwendung unterschiedlicher Heizsysteme in einem Stall Risiken bedeutet. Werden z. B. gleichzeitig Gasstrahler, Fußbodenheizung und Rippenheizkörper genutzt, entsteht durch jeden Heizkörpertyp ein anderes Stallklima. Dementsprechend müssen diese Heizsysteme richtig eingestellt und aufeinander abgestimmt werden.
Zu Risiken bei der Nutzung digitaler Lichtsysteme: Die Lichtsysteme verfügen teilweise über ein breites Spektrum an Einstellungsmöglichkeiten. Die Einstellungen sollten mit Bedacht ausgewählt werden, wofür Kenntnisse der Tierhalter*innen über den Sehsinn des Geflügels notwendig sind. Denn neben den rechtlichen Anforderungen an die Beleuchtung von Geflügelställen müssen auch die Ansprüche der Tiere berücksichtigt werden. Eine Einstellung der Beleuchtung, die sich am menschlichen Sehsinn orientiert, entspricht nicht dem Tierwohl.
Digitaler Zwilling in der Masthühnerhaltung
Im Rahmen einer Literaturanalyse ermittelten die Wissenschaftler*innen Möglichkeiten für den Einsatz eines digitalen Zwillings in der Nutztierhaltung. Sie wollten herausfinden, welches Potenzial ein digitaler Zwilling für das Risikomanagement hat (z. B. welche Probleme im Stall mithilfe des digitalen Zwillings gelöst werden könnten) und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um einen digitalen Zwilling einzusetzen (Voraussetzungen an die Technik und die Ställe). Durch ihre Recherche fanden die Wissenschaftler*innen heraus, dass ein digitaler Zwilling viele Faktoren abbilden könnte, die sich auf das Tierwohl auswirken (Stall, Technik, Herde, Wetter etc.). Der digitale Zwilling könnte dabei unterstützen, kritische Zustände im Stall früher zu erkennen und somit auf Probleme hinweisen. Sein Einsatz wäre also eine weitere Möglichkeit, um das Tierwohl zu verbessern.
Ausblick: Frühwarnsystem im Forschungsstall, Wissenstransfer in die Praxis, digitaler Zwilling
Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Agrar werden weitere sensor- und bildgestützte Verfahren im Forschungsstall testen (u. a. weitere Beleuchtungssysteme) und das Frühwarnsystem für die Landwirt*innen weiter ausbauen. Außerdem werden sie Praxisempfehlungen aus den ermittelten Schwachstellen und Problemen der getesteten Technologien ableiten. Darüber hinaus ist vorgesehen, gemeinsam mit Praxispartnern einen digitalen Zwilling des Forschungsstalls aufzusetzen.