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Jetzt anmelden09.04.2021
Inwiefern können digitale Technologien und Datenflüsse zu mehr Tierwohl beitragen? Diese Frage diskutierten am 17.03.2021 Vertreter*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bei der virtuellen Podiumsdiskussion des Zukunftslabors Agrar. Als Beispiel diente die Wertschöpfungskette Masthuhn. Der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien ist in der Agrarwirtschaft mittlerweile Standard. Digitale Technologien erfassen und verarbeiten kontinuierlich Daten, die in verschiedenen Systemen und Plattformen gespeichert werden. Die innerbetrieblichen Daten in der Nutztierhaltung und im Pflanzenbau dienen den Landwirt*innen einerseits zur nachhaltigen Betriebsoptimierung, andererseits aber auch zur Dokumentation und Weiterleitung an staatliche Institutionen. Hierzu sind landwirtschaftliche Betriebe bezüglich einzelner Informationen gesetzlich oder einzelvertraglich verpflichtet.
Unter der Moderation von Prof. Dr. Jantje Halberstadt (Universität Vechta, Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten) nahmen folgende Personen an der Podiumsdiskussion teil: Prof. Dr. Robby Andersson (Hochschule Osnabrück - Tierhaltung und Produkte), Dr. Steffen Beerbaum (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Referatsleiter Anwendung der Digitalisierung in der Landwirtschaft), Dr. Lena Friedrich (QS Qualität und Sicherheit GmbH – Antibiotika-Monitoring), Maxim Hase (Big Dutchman, Product Manager Advanced Software Solutions), Stefan Teepker (Landwirt - Vorsitzender Bundesverband bäuerlicher Hähnchenerzeuger e. V.).
Impulsvortrag: Gesetzliche Daten in der Landwirtschaft
In einem Impulsreferat stellten Dr. Anne-Kathrin Schwab (Universität Vechta, Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten), Philipp Hölscher und Andrii Besieda (beide Thünen-Institut, Institut für Agrartechnologie) vor, welche Problemstellungen bei gesetzlichen Daten in der Landwirtschaft vorliegen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Agrarsektor sind sehr komplex und unterliegen häufigen Änderungen. Mehr als 100 Gesetze sind für einen Landwirtschaftsbetrieb mit Ackerbau und Nutztierhaltung relevant. Hinzu kommt, dass keine vollständige Auflistung der aktuellen Gesetze für definierte Geschäftstätigkeiten existiert. Diese Aspekte stellen landwirtschaftliche Betriebe vor große Herausforderungen. Des Weiteren werden die Daten auf den Höfen oftmals händisch erhoben und mit verschiedenen Programmen an Aufsichtsbehörden übermittelt. Häufig sind die Software-Lösungen nicht untereinander kompatibel, sodass sogenannte „Insellösungen“ vorhanden sind. Für diese Probleme erarbeiten die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Agrar Lösungen. Ihr Ziel ist es, den Status Quo gesetzlicher Datenflüsse zu erfassen und die geltenden Gesetze übersichtlich darzustellen. In diesem Zusammenhang analysieren sie die Regelungen niedersächsischer, deutscher und europäischer Gesetzestexte und kategorisieren diese in einer Datenbank, sodass die Informationen übersichtlich erfasst und ausgewertet werden können. Darüber hinaus werden die Gesetzestexte automatisiert und kontinuierlich auf ihre Aktualität überprüft.
Eingangsstatements der Diskutierenden
Zum Einstieg in die Diskussion bat Moderatorin Prof. Halberstadt die Teilnehmer*innen um eine kurze Vorstellung und Eingangsstatements zum Thema.
Dr. Friedrich: Vielen Dank, Frau Prof. Halberstadt. Mein Name ist Lena Friedrich, ich bin Tierärztin und arbeite für die QS Qualität und Sicherheit GmbH im Bereich Antibiotikamonitoring und Tiergesundheit. Meiner Meinung nach muss noch weiter an der Vernetzung landwirtschaftlicher Daten gearbeitet werden, damit wir sie für das Tierwohl einsetzen können.
Teepker: Ich heiße Stefan Teepker und bin Landwirtschaftsmeister aus dem Emsland mit einem Schweine- und Hähnchenmastbetrieb. Außerdem bin ich Vorsitzender des Bundesverbandes bäuerlicher Hähnchenerzeuger. Mich beschäftigt die Digitalisierung schon lange. Wir haben auf unserem Hof ein eigenes Glasfasernetz gelegt und setzen schon viele digitale Lösungen um. Ein Großteil der Landwirt*innen steht beim Datenmanagement allerdings vor Herausforderungen, bei denen sie unterstützt werden müssen.
Hase: Ich bin Maxim Hase und seit knapp zehn Jahren bei Big Dutchman tätig. Dort bin ich für den Bereich Digital Business zuständig. Das Interesse an der Digitalisierung wächst stetig, unabhängig von der Größe der Betriebe. Insgesamt ist das Interesse an der Wertschöpfungskette Masthuhn sehr groß, hier tauschen sich die Akteure auch mehr und mehr aus.
Dr. Beerbaum: Mein Name ist Steffen Beerbaum. Ich leite beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft das Referat Anwendung der Digitalisierung in der Landwirtschaft. Wir arbeiten gerade an einer Datenplattform für die Landwirtschaft, über die Daten verwaltet und ausgetauscht werden können. In diesem Zusammenhang beschäftigen wir uns auch mit der europäischen Dateninfrastruktur GAIA-X.
Prof. Andersson: Ich bin Robby Andersson und forsche an der Hochschule Osnabrück im Bereich Tierhaltung und Produkte. Für das Wohl und die Sicherheit von Tieren sind Daten sehr wichtig. Digitale Assistenzsysteme können Tierhalter*innen frühzeitig bei Auffälligkeiten warnen. Diese müssen wissen, wie sie richtig mit Daten umgehen können. In diesem Zusammenhang untersuche ich auch, welche Futtermittel zukünftig eingesetzt werden, um die Umwelt zu schonen. Der Fokus geht immer mehr in Richtung Klimawandel, Reduktion von C02 und Nachhaltigkeit.
Prof. Halberstadt: Vielen Dank für Ihre Statements. Ich möchte die Diskussion mit der Frage beginnen, welchen Defiziten und Herausforderungen wir uns bezüglich landwirtschaftlicher Daten und Tierwohl stellen müssen?
Teepker: Wir müssen bei den Grundlagen anfangen, also beim Ausbau und der Anbindung an das Glasfasernetz. Jeder Stall braucht einen eigenen Glasfaseranschluss, um die zunehmend erforderlichen Daten erheben zu können. Die Landwirt*innen müssen merken, dass ihnen die Digitalisierung einen Mehrwert bringt. Da habe ich ein ganz praktisches Beispiel: Wenn die Tiere geschlachtet werden, müssen die Landwirt*innen Papiere einreichen. Die erforderlichen Daten werden zwar in einem Durchgang erstellt, aber sie können nicht per E-Mail an den Amtstierarzt verschickt werden und eine digitale Unterschrift wird auch nicht akzeptiert.
Dr. Friedrich: Ich sehe die Herausforderung vor allem darin, dass viele Landwirt*innen und Tierärzt*innen ihre Daten noch manuell erheben und händisch eintragen, obwohl es bereits digitale Möglichkeiten gibt, die viel Zeit sparen. Die Qualität und Sicherheit GmbH hat durch ihre Monitoringprogramme (bspw. Antibiotikamonitoring) eine Datenbank, in der von vielen verschiedenen Stakeholdern Daten einfließen, und deren Daten den Tierhaltern auch viermal im Jahr sichtbar gemacht werden. Wenn diese Daten sinnvoll ausgewertet und genutzt werden würden, wäre das eine große Verbesserung für das Tierwohl. Man könnt z. B. analysieren, ob die Krankheitsfälle der Herde zunehmen, woran das liegen könnte, usw. Über eine Chat-Funktion können sich Tierhalter*innen auch anonym austauschen und von den gegenseitigen Erfahrungen profitieren. Das ist aber aktuell nur eingeschränkt möglich, da die Qualität der Daten nicht einheitlich gut ist und weil manche Schnittstellen zwischen Betrieb und Datenbank noch automatisiert werden müssen. Außerdem haben viele Landwirt*innen den Nutzen daran für sich noch nicht erkannt. Hier müssen wir also noch Aufklärung betreiben.
Dr. Beerbaum: Aus meiner Sicht ist die Infrastruktur noch nicht ausreichend ausgebaut. Damit meine ich insbesondere Mobilfunk und Glasfaser. Die Politik hat dafür Geld zur Verfügung gestellt, aber die Umsetzung dauert natürlich noch. Die Datenübertragung ist dabei gar nicht unbedingt das Problem, sondern der durchgängige Datenfluss, der noch nicht vorhanden ist. Dieses Thema gehen wir politisch an und stehen dazu im Austausch. Bei GAIA-X werden z. B. Use Cases besprochen, die einen Datentransfer einfacher machen.
Prof. Andersson: Wir müssen uns vor allem fragen, wo die landwirtschaftlichen Daten eigentlich herkommen. Werden sie über Sensoren oder per Hand erfasst? Viele Betriebe sind mit der Datenflut überfordert. Deshalb ist es vor allem wichtig, Daten mit Risiken, Frühwarnsystemen, Entscheidungsbäumen oder ähnlichem sinnvoll zu verknüpfen.
Hase: Der Nutzen von Daten sollte Spaß machen. Wir brauchen Lösungen, die die Landwirt*innen entlasten. Eine Datenplattform ist nur so gut, wie die Daten, die sie enthält. Diese sind für die späteren Analysen sehr wichtig. Dafür müssen qualitativ hochwertige Daten eingespeist und korrekt aggregiert werden.
Prof. Halberstadt: Das ist ein gutes Stichwort, Herr Hase. Wie bekommen wir es hin, dass Landwirt*innen oder andere Stakeholder mehr Spaß daran haben, mit Daten zu arbeiten und diese zu nutzen? Was können Lösungen sein?
Hase: Hier spielt die Automatisierung eine große Rolle. Sie birgt viele Potenziale in Richtung Tierwohl und Nachhaltigkeit. Die Daten müssen sinnvoll aggregiert und analysiert und schließlich den Nutzer*innen in der richtigen Menge zur Verfügung gestellt werden.
Teepker: Man darf die Wirtschaftlichkeit an der Stelle auch nicht unterschätzen. Spaß macht vor allem das, was einen wirtschaftlichen Nutzen für die Landwirt*innen bringt. Hier müssen wir vor allem die Potenziale in der Wertschöpfungskette betrachten. Da möchte ich ein paar Beispiele nennen. Über Sensorik kann z. B. das Gewicht der Hähnchen ermittelt und an den Schlachthof übertragen werden. Oder die Futterbestellung kann über eine App erfolgen. Ganz wichtig ist auch die Beratung bei den Betrieben vor Ort. Wenn Roboter und Sensoren Daten in einem Stall sammeln, dann müssen die Landwirt*innen informiert werden, wie diese Daten sinnvoll genutzt werden können. Wo liegt der Mehrwert, der Nutzen? Der Austausch zwischen Landwirt*innen und Technologieanbietern ist hier ganz relevant.
Dr. Beerbaum: Da stimme ich absolut zu. Man muss immer im Blick behalten, wer die Technologien anwendet. Die Informationen müssen adressatengerecht für die Nutzer*innen aufbereitet werden. Alle Möglichkeiten müssen in Projekten und Experimentierfeldern auch immer ökonomisch bewertet werden, damit Landwirt*innen die Potenziale sehen und den Nutzen bewerten können.
Prof. Andersson: Wichtig ist auch die Diskussion in der Gesellschaft, die schärfer geworden ist. Vieles an der Landwirtschaft wird kritisiert. Dabei fehlen oftmals die Fakten. Diese sind aber relevant, um den öffentlichen Diskurs sinnvoll zu gestalten. Viele Studierende nehmen die Argumentation in der Gesellschaft als sehr kritisch war und wandern ab, was sehr schade ist.
Frage aus dem Publikum: Glauben Sie, dass ein Tierwohllabel auf Basis dynamischer Daten erstellt werden sollte, z. B. mit einem Scoring, in das Stalldaten oder Gesundheitsdaten einfließen? Würde das den Verbraucher*innen die Unterschiede in der Tierhaltung verdeutlichen und mehr Auswahl ermöglichen? Aktuelle Labels basieren auf statischen Daten, die sich nicht anpassen.
Prof. Andersson: Ja, das ist denkbar. Die Umsetzung ist aber schwierig. Wie labeln wir mit welchen Kriterien? Solch eine Umsetzung würde dauern.
Dr. Beerbaum: Es müsste dann vor allem glaubwürdig und transparent sein und einen deutlichen Unterschied für die Verbraucher*innen darstellen.
Prof. Halberstadt: Was können wir aus der Forschung beitragen, damit sich etwas verbessert? Besonders im Bereich der Interoperabilität und dem Zusammenhang zwischen den verschiedenen Akteuren. Hiermit meine ich keine wissenschaftlichen/technischen Probleme, sondern übergreifende Probleme.
Teepker: Wir müssen wegkommen von einzelnen Projektförderungen, weil dadurch Ansprechpersonen und Know-how nach Projektende verloren gehen und man wieder bei null anfängt. Das heißt, wir brauchen mehr Grundlagenforschung, die momentan total vernachlässigt wird.
Dr. Beerbaum: Zurzeit gibt es viel Forschung zum Thema Künstliche Intelligenz, die Grundlagenwissen fördern sollen. Wir arbeiten aktuell an einer Bestandsaufnahme landwirtschaftlicher IT-Systeme in allen Bundesländern, um die Interoperabilität von Systemen und Daten zu verbessern. GAIA-X ist da auch ein großer Hoffnungsträger.
Aus dem Publikum (Herr Ripke, Vertreter der deutschen Geflügelwirtschaft): Ein echtes Problem betrifft die Datenfreigabe durch Nutzer*innen. Einige wollen ihre Daten freigeben, andere nicht. Teilweise herrscht große Angst, die Daten nutzbar zu machen. Deswegen wird mehr Transparenz mit der Nutzung der Daten und mehr Aufklärungsarbeit notwendig sein.
Prof. Halberstadt: Das Monitoring von Antibiotika ist ein zentraler Punkt. Wäre es sinnvoll, zusätzlich die Antibiotikaresistenz zu monitoren, um den Einsatz besser zu steuern – Stichwort Antibiotic Stewardship?
Dr. Friedrich: Derzeit können wir noch nicht flächendeckend ermitteln, wie sich der Einsatz von Antibiotika auf die Resistenz und die Umwelt auswirkt, weil die Datenflüsse fehlen.
Prof. Halberstadt: Herzlichen Dank für die interessanten Eindrücke. Ich würde mich sehr freuen, mich weiterhin mit Ihnen zu diesem spannenden Thema auszutauschen. Wir haben wertvolle Informationen erhalten, die wir in unserem Zukunftslabor Agrar berücksichtigen werden.
Ansprechpartnerin für redaktionelle Rückfragen:
Kira Konrad B. A.
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