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Jetzt anmeldenDigitale Technologien sollen Menschen im Alltag und bei der Arbeit unterstützen. Deshalb ist es wichtig, dass die Technologien den größtmöglichen Nutzen für Anwender*innen bieten. Das Stichwort ist Human-Centered-Design (HCD): menschenzentrierte Gestaltung. Dies bedeutet, dass bei der Entwicklung neuer Technologien die Anforderungen der Nutzer*innen in den Fokus gerückt werden. Dabei orientiert sich die Technikgestaltung an den Arbeitsprozessen und den Menschen, die sie ausführen. HCD soll zu effizienteren Prozessen und einer insgesamt besseren Arbeitssituation für die Beschäftigten führen, indem digitale Technologien von der ersten Idee bis zur Produkteinführung mit potenziellen Nutzer*innen getestet und optimiert werden. Die Beteiligung verbessert nicht nur die Technologien: Viele Beschäftigte verstehen ihre Einbeziehung und Mitgestaltungsmöglichkeiten auch als Ausdruck von Anerkennung und Wertschätzung.
Der HCD-Ansatz ist ein zentrales Forschungskonzept des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit. In Fallstudien analysieren die Wissenschaftler*innen den Kontext, in dem digitale Technologien genutzt werden, identifizieren die Bedürfnisse der Anwender*innen und gestalten entsprechende digitale Innovationen. Diese testen sie mit Anwender*innen und optimieren die Technologie nach deren Feedback. Exemplarisch werden im Folgenden einige Studien aus dem Bereich Produktion vorgestellt.
Human-Centered-Design in der Produktion
In der ersten Studie ging es um die menschenzentrierte Technikgestaltung im Rahmen zeitkritischer Klebeprozesse bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors entwickelten Anleitungen für Augmented-Reality-Brillen (AR), die Beschäftigte bei der Ausführung räumlich-verteilter Klebeprozesse unterstützen sollen.
Wenn zeitkritische Prozesse räumlich verteilt sind, reichen ortsgebundene AR-Visualisierungen nicht aus, um Aufgaben außerhalb des Sichtfeldes anzuzeigen. Mithilfe von zwei Fokusgruppen, bestehend aus User-Experience-Expert*innen und Nutzer*innen, wurde daher ein Informationsdesign entwickelt. Aus den Ergebnissen konnten die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors ableiten, dass zusätzlich zu ortsgebundenen AR-Visualisierungen sowohl kritische Zeitaspekte als auch der Ort der verteilten Aufgaben angezeigt werden müssen.
In der ersten Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen, ob bestehende Out-of-View-Visualisierungstechniken (AR-Hinweise, die am Rand des Displays der AR-Brille auf Aufgaben außerhalb des Sichtfeldes zeigen) an zeitkritische Aufgaben angepasst werden können. Dazu erweiterten sie vielversprechende Techniken (Pfeile, Ecken, Halbkreise, Kompass) um die Kodierung von Zeitinformationen. Die Visualisierungstechniken blenden dabei Informationen über die minimalen und maximalen Zeiten der räumlich verteilten Aufgaben ein. Minimalzeiten geben an, wie lange zwei Wirkstoffe mindestens einwirken müssen, um den gewünschten Klebeeffekt zu erzielen. Maximalzeiten geben an, in welchem Zeitfenster die Substanzen verarbeitet werden müssen, bevor sie unbrauchbar werden.
Anschließend verglichen die Wissenschaftler*innen diese um Zeitaspekte erweiterten Visualisierungstechniken in einem simulierten, spielerisch gestalteten Prozess, um Einblicke in die Leistung der Nutzer*innen zu gewinnen und eine Auswahl der am besten wahrgenommenen Techniken zu ermöglichen.
Die Ergebnisse zeigen, dass existierende AR-Hinweise mit Zeitinformationen kodiert werden können und die Nutzer*innen bei der Ausführung zeitkritischer Aufgaben unterstützen, indem sie zu einer besseren Übersicht über den Aufgabenzustand führen und somit die Fehlerrate und die Gesamtausführungszeit reduzieren.
In einer zweiten Studie wandten die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors die zwei vielversprechendsten Visualisierungstechniken aus der ersten Studie (Pfeile und Ecken) auf den Anwendungsfall des Klebeprozesses an, um zu überprüfen, ob diese Techniken auch hier die Benutzerleistung verbessern. Die Nutzer*innen mussten dabei an verschiedenen Arbeitsplätzen zeitkritische Aufgaben durchführen. Wie in der ersten Studie wurden auch hier Augmented-Reality-Brillen eingesetzt, die Hinweise auf die verschiedenen (zeitlichen) Zustände der verteilten Montageprozesse gaben. Die Wissenschaftler*innen wollten herausfinden, welche Einblendungen den Proband*innen bei der Durchführung am meisten helfen. In diesen Testdurchläufen stellten sie fest, dass die Leistung steigt, wenn zeitkritische Aufgaben in der Augmented Reality visuell auffälliger dargestellt werden als nicht zeitkritische Prozesse und wenn zusätzlich angezeigt wird, an welchem Arbeitsplatz diese Aufgaben zu erledigen sind. Die Proband*innen arbeiteten am besten mit den Pfeilen, weil ihnen dieses Symbol vertraut war. Bei besonders zeitkritischen Aufgaben half es, wenn die Pfeile rot und größer waren. Die Wissenschaftler*innen führten die Studie mehrmals mit denselben Proband*innen durch, um zu ermitteln, wie sie mit den unterschiedlichen Visualisierungstechniken (Pfeile, Ecken) umgehen. Die Proband*innen erhielten so die Möglichkeit, ihre Vorgehensweise zu ändern und Fehler bei der nächsten Durchführung zu vermeiden. Das Ergebnis zeigte, dass die Visualisierungstechniken das Verhaltensmuster der Proband*innen nicht beeinflussten. So gab es Proband*innen, die die Prozesse strukturiert abarbeiteten, und solche, die eher unstrukturiert vorgingen. Je chaotischer die Ausführung war, desto höher wurde auch der empfundene Zeitdruck.
Des Weiteren begleiteten die Wissenschaftler*innen eine kleinere Studie von Studierenden. Diese entwickelten eine Virtual-Reality-Umgebung (VR), in der Menschen virtuell kochen. Die Studierenden grenzten das Sichtfeld der VR-Brille bewusst ein, um zu testen, inwiefern die Nutzer*innen dadurch beeinflusst/behindert werden. Das Ergebnis zeigte, dass die Proband*innen mehr Fehler machten, weil z. B. die eingeblendete Information zu klein oder nicht direkt sichtbar war. Außerdem zeigte die Studie, dass die Testpersonen mehr Zeit benötigten, um die Rezepte auszuführen. Dies zeigt, dass ein größeres Sichtfeld besser ist als ein kleines. Aktuell verfügbare Augmented-Reality-Brillen müssen daher bezüglich ihres begrenzten Sichtfeldes angepasst werden, um dauerhaft in der Praxis eingesetzt werden zu können.
Ausblick: Automatische Prozessführung und Gestaltung von Prozessübersichten
Im Forschungsjahr 2024 werden sich die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors mit der automatischen Prozessführung bei zeitkritischen Arbeitsprozessen beschäftigen. Dabei soll die AR-Unterstützung den Prozess automatisch abschließen und den Nutzer*innen die Aufgabe abnehmen, die Prozesse manuell durch Bestätigung eines Buttons zu beenden. Außerdem werden die Wissenschaftler*innen verschiedene Prozessübersichten in AR gestalten. Damit wollen sie testen, ob Menschen die räumliche 3D-Registrierung in AR benötigen, um laufende Prozesse (z. B. in Übernahmeszenarien wie bei einem Schichtwechsel) besser überblicken zu können.
Einführung eines digitalen Tools in einer kommunalen Wirtschaftsförderung
Nicht nur bei der Entwicklung digitaler Technologien ist es wichtig, die Anforderungen der Nutzer*innen zu berücksichtigen. Auch bei der Auswahl und Einführung neuer Tools sollten die Menschen, die damit arbeiten, einbezogen werden und mitgestalten können. Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit untersuchen in einer Fallstudie, wie ein digitales Tool in einer kommunalen Wirtschaftsförderung eingeführt wurde.
Konkret geht es um ein Programm für das Customer Relationship Management (CRM), mit dem die Daten und Anliegen von Kund*innen verwaltet und organisiert werden können. Die Wissenschaftler*innen wollten erfahren, inwiefern die Beschäftigten bei der Auswahl und Einführung des Programms mitgestalten und mitentscheiden durften. Außerdem untersuchten sie, inwieweit (neue) digitale Tools die Kooperations- und Kommunikationsprozesse innerhalb der Wirtschaftsförderung beeinflussen. Um diese Fragen zu beantworten, hospitierten die Wissenschaftler*innen vor Ort und führten Interviews mit Beschäftigten, Führungskräften und der betrieblichen Interessenvertretung.
Unsere vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass die Arbeitsprozesse bei der Auswahl des Tools nicht ausreichend in den Mittelpunkt gestellt wurden. Die Zuständigen haben nicht geprüft, was das Tool wirklich für den Arbeitsprozess leisten kann und welche vielleicht auch unerwünschten Auswirkungen sich darüber hinaus ergeben können. Die Auswahl erfolgte vorrangig aufgrund von Empfehlungen aus anderen Abteilungen und war stark beeinflusst von einem vereinfachten Beschaffungsprozess. In der Nutzung zeigte sich, dass vielen Beschäftigen unklar war, wie das Tool zu nutzen ist, da es keine verbindlich kommunizierten Regeln gab. Um es trotzdem sinnvoll nutzen zu können, passten die Beschäftigten das Tool oft durch Improvisation an den eigenen Arbeitsprozess an, auch wenn dies nicht dem ursprünglichen Nutzungsziel entspricht. Wir haben außerdem festgestellt, dass vielen Beschäftigten die Ziele hinsichtlich der Nutzung des Tools nicht ausreichend bekannt sind. Sie wissen oft nicht, was strategisch und operativ erreicht werden soll. Das wirkt sich auch auf die Nutzungsmotivation aus.
Ausblick: Fragebogenerhebung und Ergebnispräsentation
Auf Basis der Hospitationen, Interviews und Expert*innengespräche ist im Forschungsjahr 2024 eine kurze Fragebogenerhebung mit Beschäftigten der Wirtschaftsförderung vorgesehen, um die Erkenntnisse der qualitativen Erhebung breiter zu quantifizieren. Nach Auswertung der Ergebnisse sind Workshops mit allen am Erhebungsprozess beteiligten Personen geplant – vor allem mit Beschäftigten und Führungskräften. Dabei werden die Wissenschaftler*innen ihre Ergebnisse vorstellen und Schlussfolgerungen mit den Beteiligten diskutieren. Zudem werden sie Handlungsoptionen für den weiteren Umgang mit dem CRM-Tool aufzeigen und Empfehlungen für die Einbeziehung der Beschäftigten bei zukünftigen Digitalisierungsprozessen geben.
Digitalisierungsprozesse in einer Kommunalverwaltung
In einer weiteren Fallstudie untersuchen die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit Digitalisierungsprozesse in unterschiedlichen Bereichen einer Kommunalverwaltung. Die Wissenschaftler*innen gehen der Frage nach, welche Anforderungen und Herausforderungen sich bei Digitalisierungsprozessen in der Kommunalverwaltung stellen. Dabei beleuchten sie insbesondere die Schnittstelle zwischen Bürger*innen und Kommune und fragen, wie diese (digital unterstützt) gut gestaltet werden kann. Außerdem blicken sie auf die Möglichkeiten der digitalen Unterstützung interner Abläufe und Kommunikationsprozesse. Hierfür hospitierten sie in den Bereichen Ausländerbehörde, KFZ-Zulassung, Fahrerlaubnis sowie allgemeine Bürgerinformation und führten Interviews mit Führungskräften sowie Beschäftigten durch.
Die Erhebungen sind noch nicht final abgeschlossen, es können aber erste Erkenntnisse geteilt werden: Es wird deutlich, dass die Digitalisierung in allen Bereichen recht weit fortgeschritten ist. So wird z. B. mit elektronischen Akten und digitalen Fachverfahren gearbeitet. An der Schnittstelle zu den Bürger*innen ist der Stand der Digitalisierung hingegen unterschiedlich. An dieser Schnittstelle sind unterschiedliche Faktoren für die Gestaltung von Digitalisierung relevant, wie etwa die Art der Dienstleistung (Um welche Vorgänge handelt es sich und inwiefern können diese sinnvollerweise digital unterstützt werden?), geschäftspolitische Erwägungen (An welchen Stellen ist Digitalisierung gewollt?) und die Qualität und Nutzbarkeit der zur Verfügung stehenden Anwendungen (Eignen sie sich für den Einsatz in unserem Bereich?). Darüber hinaus haben spezifischen Anforderungen und Rahmenbedingungen Einfluss auf Digitalisierungsprozesse – so etwa die Heterogenität von Fallkonstellationen und Anliegensarten im Bereich der Ausländerbehörde.
Ausblick: Abschluss der Erhebung und Ergebnispräsentation
Im Forschungsjahr 2024 werden die Wissenschaftler*innen die Erhebungen in der Kommunalverwaltung abschließen und die erhobenen Daten (weiter) auswerten. Ihre Ergebnisse werden sie in Workshops den Stakeholdern der Kommunalverwaltung (Beschäftigte, Führungskräfte, Personalrat) präsentieren und gemeinsam mit ihnen diskutieren. Ziel ist es, Hinweise für aktuelle und zukünftige Digitalisierungsprozesse zu geben.
Wertschätzung im Technikgestaltungsprozess und partizipative Technikgestaltung
Die bisher vorgestellten Studien zeigen, wie wichtig es für gelingende Digitalisierungsprozesse ist, Beschäftigte frühzeitig einzubinden. Dies führt nicht nur zu besseren Lösungen (ökonomisch wie menschenorientiert), sondern wird von den Beschäftigten darüber hinaus als Ausdruck von Anerkennung und Wertschätzung erlebt. Wertschätzung spielt generell eine große Rolle für Zufriedenheit im Arbeitsleben.
Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit stellten fest, dass die spätere Arbeitssituation und das Wertschätzungserleben im Technikgestaltungsprozess bislang zu wenig berücksichtigt werden, auch wenn Ansätze aus der Informatik (wie etwa das Human-Centered-Design) bereits viele wichtige Aspekte berücksichtigen. Deshalben werden sich die Wissenschaftler*innen 2024 damit beschäftigen, wie die spätere Arbeitssituation bereits in frühen Phasen der Technikgestaltung und –entwicklung berücksichtigt werden kann.
Fragen der Berücksichtigung der späteren Arbeitssituation bereits in frühen Phasen der Technikgestaltung und -entwicklung sind Gegenstand der weiteren interdisziplinären Diskussionen der Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Arbeitssoziologie, Kommunikationswissenschaften und Informatik.