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Jetzt anmeldenDabei ist die digitale Transformation nicht die einzige größere Herausforderung für die Landwirtschaft. Themen wie der Klimawandel, Insektensterben und Nachhaltigkeit beim Wirtschaften rücken auch die Agrarwirtschaft verstärkt in den Fokus der Verbraucher. Massentierhaltung, Monokulturen und der Einsatz von Pestiziden und Fungiziden werden innerhalb der Bevölkerung immer kritischer gesehen. Eine zunehmende Technisierung der Landwirtschaft könnte das nostalgisch geprägte Bild des familiären Bauernhofs weiter belasten. Ein genauerer Blick auf den Einsatz von digitaler Technologie zeigt dagegen sehr deutlich, dass Maschinen sehr wohl auch ökologisch sinnvoll eingesetzt werden können und nicht nur der weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft dienen. Damit ist die Branche in vielen Bereichen bereits heute ein Vorreiter bei der digitalen Transformation.
Warum die Digitalisierung die Landwirtschaft ökonomischer und ökologischer macht
In der Agrarwirtschaft sind Ökonomie und Ökologie keine Gegensätze, sondern sinnvolle Partner. Das gilt zum Beispiel auch für den Einsatz von Maschinen, die digitale Technologien nutzen. So können Felder dank GPS (Global Positionen System) und RTK-Korrektursignalen (Real Time Kinematic) heute nicht nur punktgenau bewirtschaftet werden, sondern größtenteils auch vollautomatisch. Saatreihen werden am Computer vorausberechnet und die Traktoren fahren dann mit einer Genauigkeit von 2 cm die festgelegten Strecken automatisch ab. Der Landwirt fährt zwar (noch) mit, kann sich während der Aussaat aber schon mit anderen Aufgaben wie der Dokumentation beschäftigen. Die Vorteile beschränken sich aber nicht nur auf Genauigkeit und Zeit, sondern sind sehr vielfältig und beziehen auch ökonomische Aspekte mit ein. So sorgt eine zentimetergenaue Fahrspur für eine reduzierte Verdichtung der sensiblen Humusschicht, die dann vor der nächsten Bestellung nicht tiefgründig umgepflügt werden muss, was wiederum gut für die Bodenorganismen ist. Die optimalen Fahrwege werden zudem auch für die Düngung und den Einsatz von Spritzmitteln genutzt. Da auch die Ausbringung von Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmitteln digital gesteuert wird, erhält jede Pflanze den optimalen Abstand, bekommt die nötigen Nährstoffe und die genau richtige Menge an Schutz. Die präzisen Fahrspuren reduzieren außerdem die Überlappung von 50 auf etwa 4 cm.
Die eingesparten Saat- und Spritzmittel zeigen sehr gut, wie in der modernen Landwirtschaft Ökonomie und Ökologie Hand in Hand gehen: Geringere Saatmengen liefern durch optimale Ausbringung mehr Ertrag und weniger Spritzmittel belastet die Böden weniger. Letzteres ist langfristig auch ein ökonomischer Faktor für den einzelnen Landwirt, denn die Felder gehören oft generationsübergreifend zum Kapital eines landwirtschaftlichen Betriebes. Damit sie auch für die Zukunft noch ertragreich bleiben, müssen die Landwirte langfristig denken. Dazu gehört auch die klassische Planung der Fruchtfolge, damit die Böden nicht einseitig Nährstoffe verlieren oder sich Krankheiten ausbreiten können. Auch dabei kann die automatisierte Bewirtschaftung unterstützen.
Die Digitalisierung der Landwirtschaft hat das Potenzial, den gesamten agrarischen Prozess im Pflanzenbau und in der Tierhaltung ökologischer und ökonomischer zu gestalten. Wir arbeiten mit einer ganzheitlichen Perspektive auf die Landwirtschaft und das Tierwohl. Unsere Forschung nimmt das komplette, hochkomplexe Wertschöpfungsnetz der Agrar- und Ernährungswirtschaft in den Blick. Auch ökologische Landwirtschaft profitiert von den Möglichkeiten selbstlernender Systeme und hochautomatisierter Maschinen. Digitalisierung beginnt für uns beim Saatgut, Steckling oder Jungtier, setzt sich über das Hoftor landwirtschaftlicher Betriebe fort und endet schließlich auf den Tellern der Verbraucher.
Spot-Farming: Große Flächen kleinteilig bepflanzen
Auf großen Feldern entstehen oft Monokulturen, weil sie sich heute mit den großen Maschinen sehr effizient abernten lassen. Erntemaschinen sind auf Masse ausgelegt und somit besonders für große Anbauflächen geeignet. Ein moderner Maisernter erreicht eine Abschneideleistung von 100 Tonnen Mais pro Stunde. Doch sie bringen auch viele Nachteile mit: Je länger ein Feld mit der immer gleichen Furcht kultiviert wird, umso mehr wird der Boden ausgelaugt und umso leichter halten sich Schädlinge. Um Pflanzenkrankheiten und Nährstoffmangel auszugleichen, müssen auf solchen Feldern mehr Spritz- und Düngemittel aufgebracht werden.
Doch das ändert sich. Die ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen erfordern neue Ansätze, die vor allem mit digitalen Technologien umgesetzt werden können. Im Fokus stehen allerdings nicht die technischen Lösungen, sondern die Grundbedürfnisse der Kulturpflanzen: Welche Bedingungen brauchen sie für eine nachhaltige Bewirtschaftung? Die Antworten aus der wissenschaftlichen Forschung führen uns weg von der bisherigen Praxis einer uniformen Pflanzenproduktion und hin zu einer teilflächenspezifischen Bewirtschaftung als alternativem Produktionssystem. Beim sogenannten „Spot Farming“ bestimmt nicht mehr allein die Technik die Art und Weise, welche Kulturpflanzen wie angebaut werden. Vielmehr findet ein Perspektivwechsel statt, der von der Pflanze selbst ausgeht. Erst nachdem die Kriterien festgelegt sind, wie eine bestimmte Pflanze am besten gedeihen kann, werden die technischen Möglichkeiten entsprechend angepasst und weiterentwickelt.
Dieser neue Ansatz beinhaltet zudem die grundlegende Annahme, dass viele landwirtschaftliche Produktionsstandorte nicht homogen über die gesamte Fläche sind. Die Aggregation unterschiedlicher Informationen u.a. über die Bodenbeschaffenheit, dem Mikroklima und Höhenlinien in Kombination mit Ertragskarten unterteilen eine große Fläche in mehrere Spots, die jeweils unterschiedliche Potenziale aufweisen. Über diese teilflächenspezifischen Eigenschaften lassen sich verschiedene Fruchtfolgen identifizieren, die eine optimale Kombination von Pflanzenanforderungen und Flächenressourcen aufweisen.
Das Wissen um effektive Fruchtfolgen ist uralt – nicht nur unter ambitionierten Hobbygärtnern, sondern auch in der Landwirtschaft. Diesen Wissenstransfer gilt es in technische Unterstützung umzusetzen. Zentrale Datenbanken aggregieren alle wichtigen Informationen, Erkenntnisse sowie Erfahrungswerte und stellen sie der Agrarwirtschaft zur Verfügung. So spezifisch die Rahmenbedingungen für ein einzelnes Feld auch sein mögen, so wird es über die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche gesehen immer wieder Übereinstimmungen geben. Datensysteme mit Künstlicher Intelligenz könnten solche Cluster zukünftig identifizieren und auf der Basis bereits gemachter Erfahrungen sinnvolle Empfehlungen geben.
Digitalisierung zur gezielten Förderung des Tierwohls
Neben der nachhaltigen Intensivierung der Flächennutzung ist die Digitalisierung auch innerhalb der Massentierhaltung ein wichtiger Zukunftsfaktor für die Agrarwirtschaft. Das Tierwohl steht nicht nur bei Verbrauchern zu Recht hoch im Kurs, die Landwirte haben das allererste Interesse an der Gesundheit ihrer Tiere. Der vielfältige Einsatz digitaler Technologien kann sowohl den ökologischen als auch den wirtschaftlichen Erfolg stark unterstützen. Ein moderner Milchviehbetrieb sieht heute ganz anders aus, als zur rein analogen Zeit. Die einzelnen Tiere werden über einen Chip lückenlos überwacht, so dass der Landwirt das Fressverhalten, den Bewegungsradius und die medizinischen Daten jederzeit im Überblick hat. Stimmt bei einem Einzeltier etwas nicht, so kann es von der Herde getrennt und medizinisch versorgt werden, bevor sich eine Krankheit ausbreitet.
Vollautomatische Melkkarussellsysteme identifizieren über den Chip jede einzelne Kuh und protokollieren bei jedem Melkvorgang, dem die Kuh zu einem selbst gewählten Zeitpunkt initiiert, wie viel Milch sie abgibt. Gleichzeitig werden beim Melkvorgang weitere Vitalwerte gemessen und analysiert. Wird dabei ein spezifischer Bedarf ermittelt, bekommt das Tier entsprechend eine angereicherte Futtermischung.
Zusätzlich sorgen Sensoren in den Ställen für die Etablierung optimaler Verhältnisse: Wie hoch sind die Temperatur, der Luftzug und die Luftfeuchtigkeit? Eine zu niedrige Luftfeuchtigkeit kann beispielsweise das Atemsystem der Tiere stressen. Ist der Wert dagegen zu hoch, kann Wasser kondensieren und zu Korrosion oder Schimmelbildung führen. Auch das ist also ein Beispiel dafür, dass digitale Technologien ökologische und ökonomische Aspekte gleichermaßen optimieren können. Die Digitalisierung wird damit zur Basis für eine zukunftsgerichtete Agrarwirtschaft, die wirtschaftlich tragfähig ist und gleichzeitig in der Gesellschaft akzeptiert wird.
Was noch zu tun ist
Auch wenn die Digitalisierung in der Agrarwirtschaft in vielen Bereichen schon weit fortgeschritten ist, gibt es noch großen Handlungsbedarf. Eine der zentralen Problemstellungen ist beispielsweise der Konflikt zwischen der Datentransparenz im Wertschöpfungsnetz und dem Schutz der Datenhoheit der verschiedenen Akteure. Auf der einen Seite kann der nötige Reifegrad der Digitalisierung nicht ohne eine technische Durchlässigkeit für die anfallenden Daten erreicht werden. Gleichzeitig haben die Akteure ein berechtigtes Interesse an der Wahrung ihrer Datenhoheit. Die Realisierung einer geschützten Transparenz ist daher eine der beiden zentralen Fragestellungen des Zukunftslabors „Digitalisierung Agrar“ und die Voraussetzung für eine umfassende Nachhaltigkeit der Landwirtschaft, die ökonomische, ökologische und soziale Aspekte vereint. Die zweite zentrale Aufgabenstellung besteht darin, die Nachhaltigkeitseffekte zu verstehen, zu dokumentieren und zu quantifizieren. Daraus abgeleitete belastbare Modelle hätten nicht nur für die Akteure im Wertschöpfungsnetz eine leitende Funktion, sondern wären zudem der Brückenschlag zur Gesellschaft und Politik.
ÜBER DAS ZUKUNFTSLABOR AGRAR:
Zukunftslabor-Sprecher: Prof. Dr. Joachim Hertzberg, Universität Osnabrück
Beteiligte wissenschaftliche Einrichtungen:
• Hochschule Osnabrück - Kompetenzzentrum Competence Of Applied Agricultural Engineering (COALA)
• Hochschule Osnabrück - Lehrstuhl Tierhaltung und Produkte
• Julius Kühn-Institut - Institut für Anwendungstechnik im Pflanzenschutz
• Technische Universität Braunschweig - Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge
• Thünen-Institut -Institut für Agrartechnologie
• Universität Göttingen -Arbeitsgebiet Betriebswirtschaftslehre des Agribusiness
• Universität Osnabrück -Abteilung für Verhaltensbiologie
• Universität Vechta -Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten
Zum Start beteiligte Praxispartner: 35