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Jetzt anmelden18.06.2021
Das Zukunftslabor Agrar veranstaltete in Kooperation mit dem Experimentierfeld Agro-Nordwest am 27.05.2021 eine Gesprächsrunde zum Thema „Neue Interdisziplinarität: Innovationstreiber der praxisorientierten Autonomisierung im landwirtschaftlichen Pflanzenbau". Der Einsatz innovativer Technologien bestimmt seit vielen Jahren zunehmend den landwirtschaftlichen Pflanzenbau, dabei ist die interdisziplinäre Zusammenspiel der Bereiche Landwirtschaft, Technik und Betriebswirtschaft mittlerweile Normalität. Die Dynamik der aktuellen digitalen Transformation in der Landwirtschaft zeigt zunehmend die Relevanz weiterer Disziplinen. So spielen beispielsweise arbeitswissenschaftliche, rechtliche oder gesellschaftliche Aspekte beim beginnenden Praxiseinsatz der autonomen Feldrobotik wichtige Rollen.
Prof. Dr. Arno Ruckelshausen (Hochschule Osnabrück, Fakultät Ingenieurwissenschaften und Informatik) moderierte die Veranstaltung, die in zwei Gesprächsrunden zu den Themen „Landtechnik“ und „Neue Disziplinen in der Landtechnik“ gegliedert war. An der ersten Gesprächsrunde beteiligten sich Stephan Künne (Landwirt), Susanne Otter-Nacke (ehem. CLAAS E-Systems, Gründungsmitglied GIL e. V.) sowie Stefan Kiefer (Amazonen-Werke).
Prof. Ruckelshausen: Wir betrachten den Stand der Automatisierung, Autonomisierung und Digitalisierung aus Sicht der Landtechnik. Wo stehen wir aktuell? Beziehen Sie sich gerne auf das Beispiel der autonomen Feldrobotik.
Künne: Die Landwirt*innen sind der Autonomisierung in der Technik gegenüber sehr aufgeschlossen, aber zurzeit etwas ernüchtert. Es gibt immer noch Grenzen bei der Vernetzung, die den Fortschritt hemmen. Außerdem müssen die Landwirt*innen bezüglich ihrer Datenwerte, die mit der Sensorik gesammelt werden, aufgeklärt und beraten werden.
Prof. Ruckelshausen: Beratung ist ein gutes Stichwort. Herr Kiefer, wie informieren Sie ihre Kund*innen, um den Nutzen autonomer Technik zu vermitteln?
Kiefer: Es gibt viele konkrete Beispiele, die deutlich den Nutzen des Technologieeinsatzes in der Praxis aufzeigen, ein Beispiel ist „Section Control“. Die praktische Umsetzung der Standards zur Kommunikation auf den Maschinen und der Zugang zu einer Vielzahl von Datenquellen zeigen zunehmend den Nutzen der Technologien auf, Beispiele sind ISOBUS und agrirouter. Andererseits bestehen bei der Vermittlung dieser Konzepte in Verbindung mit dem Nutzen durchaus noch Optimierungspotenziale.
Prof. Ruckelshausen: Einige Stimmen möchten meinen, dass Digitalisierung in der Landwirtschaft zu komplex, zu zeitaufwändig, zu teuer und ohne nennenswerten Nutzen sei. Fehlt es an gesellschaftlicher Akzeptanz, Frau Otter-Nacke?
Dr. Otter-Nacke: Precision Farming ist bereits seit 25 Jahren im Gespräch, die Vorteile liegen auf der Hand, die Adaptionsraten sind jedoch verhältnismäßig langsam. Warum ist das so? Der Knackpunkt liegt bei den Daten. Das ist ein sehr umfangreiches und schwieriges Thema, da der Arbeitsaufwand bei den Landwirt*innen in der Vorbereitung der Maßnahmen sehr groß ist.
Prof. Ruckelshausen: Inzwischen gibt es so viele Fachgebiete bzw. Disziplinen, die in die Digitalisierung hineinspielen. Ist das der absolute Overload für Landwirt*innen?
Künne: Insbesondere die juristische Perspektive ist da sehr wichtig. Das betrifft den Datenschutz, die Datenhoheit, insgesamt die Frage, wem Daten gehören und welche Rechte dadurch entstehen.
Steckel (Publikum): Es gibt auch Entwicklungen, die die Einstiegsschwelle in die Digitalisierung vereinfachen. Dazu zählen neue Hard- und Softwareentwicklungen. Sie erleichtern das interdisziplinäre Arbeiten im experimentalen Bereich deutlich.
Prof. Ruckelshausen: Aus Sicht der Wissenschaft kann ich sagen, dass digitale Lösungen zunehmend erforscht und entwickelt werden. Doch die letzte Meile ist entscheidend und fehlt teilweise noch.
Prof. Frerichs (Publikum): Das System "Landwirtschaft" ist für die Landwirt*innen wahnsinnig komplex. Der kleine bäuerliche Betrieb ist - obwohl gewollt - schwer in der Lage, die Digitalisierung alleine zu stemmen. Vielleicht ist es notwendig, das System Landwirtschaft neu zu entwickeln.
Dr. Otter-Nacke: Es gibt Firmen, die die benötigten Anwendungsvorschriften für Landwirt*innen anbieten. Aber es fehlt noch am Informationsfluss, wo diese die notwendigen Daten herbekommen.
Die zweite Gesprächsrunde widmete sich „Neuen Disziplinen“ in der Landtechnik. Am Gespräch waren Dr. Louisa von Plettenberg, (Georg-August-Universität Göttingen, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung), Saskia Hohagen (Ruhr-Universität Bochum, Institut für Arbeitswissenschaft), Dr. Siegfried Behrendt (Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin) sowie Prof. Dr. Mary-Rose McGuire (Universität Osnabrück, Lehrstuhl für Geistiges Eigentum) beteiligt.
Prof. Ruckelshausen: Die Landtechnik ist eine sehr diverse und komplexe Domäne. Es gibt grundsätzlich die Bereitschaft, Technik zu nutzen, aber auch Ernüchterung diesbezüglich. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Dr. Behrendt: Durch das Voranschreiten der Digitalisierung sind bei den Landwirt*innen hohe Erwartungen erzeugt worden, auch durch die Politik. Aber die Erfahrungen haben gezeigt, dass die Dinge nicht so umgesetzt werden können wie geplant. Der Nutzen und der Aufwand stehen in keinem angemessenen Verhältnis.
Hohagen: Unsere Umfrage hat gezeigt, dass sich aktuell ein Veränderungsdruck vor allem durch äußere Faktoren, wie beispielsweise die Politik oder die Gesellschaft, zeigt. Ein Veränderungsdruck durch betriebliche Faktoren oder technologische Entwicklungen wird eher weniger wahrgenommen.
Prof. McGuire: Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass es für Daten bislang keine Regelung gibt, die sie als Rechtsgut schützt. Deshalb zählen Daten nicht als geistiges Eigentum gelten und können auch nicht verkauft werden. Es gibt aber ein Abwehrrecht, das es zugleich ermöglicht in die Nutzung seiner Daten einzuwilligen, damit sie anderen zur Verfügung gestellt werden können.
Aus dem Publikum: Meiner Meinung nach ist das größte Problem der Landwirt*innen, die Daten sinnvoll zu nutzen. Oft funktioniert es nicht, weil die entsprechenden Schnittstellen zwischen den Programmen und den Herstellern fehlen. Da werden die Landwirt*innen meistens allein gelassen. Wenn es aber für Firmen möglich ist, Daten zu nutzen und damit eine Wertschöpfung zu generieren, dann sollte das auch für Landwirt*innen gelten.
Prof. Ruckelshausen: Den Aspekt möchte ich gerne aufgreifen. Wie hängen Daten und Betriebswirtschaft zusammen?
Dr. von Plettenberg: Die Daten, die die Landwirt*innen produzieren sind wichtig um Prozesse zu optimieren. Wichtig ist, dass die Daten für die Landwirt*innen verfügbar sind. Diese müssen über die Auswertungs- Nutzungsmöglichkeiten informiert sein, damit sie einen Mehrwert für sich daraus ziehen können. Hinsichtlich der Bewertung von Nachhaltigkeit ist es einfacher Daten hinsichtlich ökologischer und ökonomischer Aspekte auszuwerten. Schwierig ist es bei der sozialen Nachhaltigkeit, da dort oftmals keine Daten vorhanden sind und sogenannte Kennzahlen fehlen.
Dr. Otter-Nacke: Bei der Entwicklung einer neuen Technologie stellt sich der Hersteller die Frage, wie das Produkt am Markt angenommen wird, welche Marktanteile es beanspruchen kann und wo der Wert liegt. Hier wird also betrachtet, wie viele Kund*innen das neue Produkt brauchen und welchen Gewinn es einbringen kann.
Prof. McGuire: Produkte werden vornehmlich nach den technischen Möglichkeiten gekauft und nicht danach, wo die Teilhabe an Daten größer ist. Der Datenaspekt ist meistens nicht offensichtlich, sondern verklausuliert in den Nutzungsbedingungen. Damit auch dieser Aspekt als Auswahlkriterium berücksichtigt wird, muss es transparent sein, ob man neben dem Kaufpreis auch mit Daten bezahlt. Die EU hat für dieses Bezahlen mit Daten bereits eine einheitliche Regelung erlassen. Diese muss auch in Deutschland umgesetzt werden. Damit ist in den nächsten zwei bis drei Jahren zu rechnen.
Aus der Gesprächsrunde zu „Neuen Disziplinen“ in der Landtechnik ergab sich eine weiterführende Diskussion mit den Teilnehmer*innen der ersten Gesprächsrunde. Stephan Künne stieg in die Diskussion um Daten mit ein:
Künne: Wir Landwirt*innen sind im Zwiespalt: Einerseits möchten wir Daten liefern, um bei der Entwicklung hilfreicher Technologien zu unterstützen. Andererseits wollen wir nicht „gläsern“ werden.
Dr. Behrendt: Transparenz wird entlang der gesamten Wertschöpfungskette gewünscht. Dafür fehlt aber noch an vielen Stellen die Standardisierung.
Kiefer: Das Thema Daten müsste positiver behandelt werden. Kund*innen sollten wissen, welche Vorteile es ihnen bringt, Daten zur Verfügung zu stellen. Es darf nicht so sein, dass Hersteller einfach irgendetwas mit den Daten machen und die Kund*innen nicht genau wissen, was. Hier wird eine neue Marketingstrategie erforderlich.
Dr. Otter-Nacke: Der Vorteil muss im Vordergrund stehen. Aus Einzeldaten können Sammeldaten werden, die dadurch einen Mehrwehrt für die Forschung und Entwicklung bieten.
McGuire: Man sollte nicht nur fragen, ob Daten genutzt werden dürfen, sondern klarstellen, wofür sie genutzt werden. Zum Beispiel zur Verbesserung des Geräts, aber nicht zu einem anderen Zweck. Außerdem muss darüber aufgeklärt werden, ob bzw. dass die Daten anonymisiert werden. Es besteht hier ein Kommunikationsdefizit. Man könnte so für beide Seiten den Nutzen erhöhen.
Künne: Es muss mehr an einem Service für Landwirt*innen gearbeitet werden als an einem Produkt. Umweltschutz und Arbeitseffizienz können Treiber dafür sein.
Dr. von Plettenberg: Interdisziplinäre Zusammenarbeit und ein schnelleres Feedback zwischen unterschiedlichen Stakeholdern werden immer wichtiger, da die Innovationsentwicklungszyklen immer kürzer werden.
Kiefer: Das geht genau in die richtige Richtung. Die verschiedenen Stakeholder in Deutschland müssen zusammenarbeiten und miteinander reden. Es gibt inzwischen viele Fördermittel für solche Projekte.
Statements zum Abschluss
Zum Abschluss der Veranstaltung bat Prof. Ruckelshausen die Diskutant*innen um ein kurzes Statement.
McGuire: Jura ist ein wichtiger Teil der Zusammenarbeit und als Enabler zu verstehen. Wenn transparent geregelt ist, wer welche Daten erfasst und wofür er sie nutzen darf, ist das für beide Seiten ertragreich.
Dr. Otter-Nacke: Im Fokus stand für uns immer, mithilfe der Auswertung von Daten unseren Kund*innen einen Mehrwert für die Maschinen zu bieten Die technische Verbesserung der Maschinen allein das stößt langsam an seine Grenzen. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen könnte man für dieses Dilemma ganz neue Lösungen finden.
Hohagen: Interdisziplinarität ist für die zukünftige Ausrichtung der Landwirtschaft von zentraler Bedeutung und bietet neue Möglichkeiten. Dabei ist auch eine ganzheitliche sozio-technische Perspektive von Relevanz.
Dr. von Plettenberg: Durch Interdisziplinarität kann man verschiedene Interessengruppen ansprechen, mitnehmen und Synergien schaffen.
Dr. Behrendt: Die Interdisziplinarität in diesem Gebiet steht erst am Anfang und muss verstärkt werden. Besonders wichtig ist auch die Arbeit mit Experimentierfeldern. Künftig werden Sprunginnovationen benötigt.
Kiefer: Ich bin sehr zuversichtlich und gespannt auf neue Entwicklungen. Der juristische Aspekt dieser Thematik war mir bisher nicht präsent, das fand ich an der Diskussion heute besonders interessant.
Künne: Es ist positiv, dass Landwirt*innen mehr und mehr involviert werden und versucht wird, sich in ihre Lage zu versetzen.
Prof. Ruckelshausen: Vielen Dank, meine Damen und Herren, für die interessanten Gespräche und den Austausch. Ich bin gespannt darauf, wie sich die Landtechnik weiter entwickeln wird.
Ansprechpartnerin für redaktionelle Rückfragen:
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